China - Marktforschung am Stammtisch

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China

Marktforschung am Stammtisch

Von Jin Zhiguo

Die von deutschen Einwanderern gegründete Brauerei Tsingtao war Mitte der 90er Jahre ein typischer chinesischer Staatskonzern mit mäßigem Erfolg. Der heutige Chairman beschreibt, wie er das Unternehmen modernisierte und zum fünftgrößten Braukonzern der Welt machte.

Im Jahr 1995 war ich stellvertretender Geschäftsführer von Tsingtaos erster Brauerei. Wir konnten auf ein sehr gutes Jahr zurückblicken, und um das zu feiern, lud ich unsere Mitarbeiter zu einer Wanderung in das nahegelegene Lao-Shan-Gebirge ein. Während der Wanderung erreichte mich eine Nachricht von meinem Chef. "Kommen Sie sofort zurück." Ich eilte ins Büro und wurde darüber unterrichtet, dass das Management von Tsingtao mir eine neue Aufgabe übertragen hatte. Es wollte, dass ich ins mehr als 1300 Kilometer entfernte Xian ging, um dort die Leitung der Brauerei Hans zu übernehmen. Ich sollte den neuen Job in drei Tagen antreten.

Wie aus Tsingtao der fünftgrößte Braukonzern der Welt wurde.
Wie aus Tsingtao der fünftgrößte Braukonzern der Welt wurde.
© REUTERS

Tsingtao hatte die Brauerei Hans erst kurz zuvor erworben, und das Geschäft lief nicht besonders gut. An meinen ersten Tag bei Hans fand ich einen Bericht auf meinem Schreibtisch, in dem stand "Tagesproduktion: 1000". Zuerst dachte ich, damit wären 1000 Kästen Bier gemeint, was gar nicht schlecht gewesen wäre. Aber bei meinen Gesprächen mit den Mitarbeitern erfuhr ich, dass es sich um 1000 Flaschen handelte. Das Unternehmen beschäftigte mehr als 1000 Mitarbeiter - was bedeutete, dass die Brauerei weniger als eine Flasche pro Mitarbeiter pro Tag produzierte. Meine Zeit bei Hans begann also mit ungläubigem Staunen.

Zu dieser Zeit war eine derartig unterdurchschnittliche Leistung in chinesischen Unternehmen nicht unüblich. Bevor 1978 die wirtschaftlichen Reformen in China griffen, waren die meisten Unternehmen in Staatsbesitz. Die Regierung bestimmte die Produktionspläne, und nur wenige Manager interessierten sich für die Bedürfnisse der Kunden oder für traditionelles Marketing. Kennzahlen wie Kosten, Produktivität und Effizienz wurden nur in Ansätzen verfolgt. Es gab keinerlei Mechanismen, um Kundenfeedback zu gewinnen, und somit wussten die Manager auch nicht, was die Kunden dachten (und es interessierte sie auch nicht besonders).

Einige der bei westlichen Unternehmen als selbstverständlich vorausgesetzten Methoden, wie zum Beispiel das Einhalten hoher Leistungsstandards bei den Mitarbeitern, wurden in chinesischen Firmen nicht angewandt. Anfang der 90er Jahre verbesserten viele staatliche Unternehmen ihre Produktivität als Antwort auf die aggressive Konkurrenz durch westliche Marken, die bei den Verbrauchern sehr beliebt waren. Aber bei der Brauerei Hans gab es noch viel zu tun. Ich arbeitete in den folgenden fünf Jahren daran, die Kultur des Unternehmens zu revolutionieren, um es wettbewerbsfähig gegenüber privaten Unternehmen zu machen. Und als ich 2001 CEO der Tsingtao Group wurde, versuchte ich, diese Methoden auf den gesamten Konzern auszuweiten.

Profil

© gcmt / Imaginechine
Der Manager
Der 1956 geborene Jin Zhiguo begann mit 19 als Flaschenreiniger in der Brauerei Tsingtao. Er stieg auf zum Fabrikleiter und wurde General Manager in diversen Bereichen des Konzerns, unter anderem der 1995 übernommenen Hans-Brauerei. 2001 über - nahm er die Führung der Tsingtao-Gruppe und schloss 2004 ein MBA-Studium an der China Europe International Business School in Shanghai ab. Jin Zhiguo war außerdem Mitglied des Nationalen Volkskongresses.

Das Unternehmen
Tsingtao wurde 1903 von deutschen Auswanderern gegründet. Heute ist das Unternehmen mit 35.300 Mitarbeitern der größte chinesische Braukonzern und gehört zu den fünf größten Brauereien weltweit.
Unter der Führung Jin Zhiguos verdreifachte sich der Umsatz 2010 auf 19,8 Milliarden Yuan (3,14 Milliar den Euro) bei einem Gewinn von 1,6 Milliarden Yuan. Wegen seiner erfolgreichen Unternehmensführung wurde Jin Zhiguo 2007 zu einem der zehn einflussreichsten Manager in China gewählt.
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