Deutschland wird zum Zuwandermagneten

 

Wiesbaden - Die Wirtschaftskrise in Europa macht Deutschland für Zuwanderer so attraktiv wie seit fast 20 Jahren nicht. Im vergangenen Jahr zogen 369.000 Menschen mehr nach Deutschland als fortgingen. Das sei der höchste Wert seit 1995, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag mit. Vor allem Griechen, Italiener, Portugiesen und Spanier zieht es vermehrt nach Deutschland. Aus diesen Krisenländern mit hoher Arbeitslosigkeit kamen unter dem Strich 68.300 nichtdeutsche Zuwanderer oder über 80 Prozent mehr als 2011.

"Es gibt eine Umlenkung in Europa weg von den traditionellen Zuwanderungsmagneten, die jetzt in der Wirtschaftskrise sind", sagte der Zuwanderungsexperte Herbert Brücker. Das machen nun auch etwas leichtere Zuzugsbedingungen möglich. Deutschland verzeichnet so und aufgrund der Krise anderswo in Europa erst seit dem Jahr 2010 wieder einen Überschuss zwischen Zu- und Fortzügen. Insgesamt zogen 2012 nach den vorläufigen Zahlen 1,081 Millionen Ausländer und Deutsche nach Deutschland, 712.000 Menschen verließen das Land.

Zu den Zuwanderern zählen Klimatechniker wie David Gonzalez und Krankenpfleger wie etwa Ignacio Rodríguez Úbeda, die in ihrer Heimat Madrid keinen Job gefunden haben. Die beiden Spanier entschieden sich angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50 Prozent dafür, ihr Glück in Deutschland zu versuchen.

Zuwanderer aus den südeuropäischen Krisenländern bescherten Deutschland dann auch im Jahr 2012 zusammen mit Osteuropäern das größte Zuwandererplus seit 17 Jahren. Die Republik wuchs nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes so um etwa 369.000 Menschen und damit um eine Stadt der Größe von Bochum oder Wuppertal.

Professorin Langenfeld: "Europa wird als Chance erfahrbar"

"Deutschland entwickelt sich zum Magneten für gut qualifizierte, junge Zuwanderer aus der EU", sagt die Vorsitzende des Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Christine Langenfeld. Dies sei angesichts des Fachkräftemangels ein Gewinn. "Es entsteht ein echter europäischer Arbeitsmarkt."

Davon profitierten auch die Zuwanderer: "Sie finden in Deutschland eine Arbeit und können dadurch auch ihre Qualifikation erhalten. In den Herkunftsländern verringern sich die sozialen Transferleistungen", erläutert die Jura-Professorin. "Europa wird damit im Alltag für immer mehr Menschen ganz konkret als Chance erfahrbar."

Rund 300.000 Zuwanderern jährlich könnten den demografisch bedingten Rückgang an Arbeitskräften in Deutschland fast aufhalten, bei 400.000 Zuwanderern pro Jahr sinke die Zahl der Fachkräfte kaum noch, sagt Johann Fuchs vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.

"In der Mehrheit kommen gut qualifizierte Personen", sagt auch Steffen Kröhnert vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Das Bildungssystem in den Ländern Osteuropas sei gut. Unterm Strich seien die Ressourcen für den Arbeitsmarkt besser als bei den Zuwanderungswellen früherer Jahrzehnte. "Dennoch ist es sinnvoll, Zuwanderung zu steuern und sie nicht nur geschehen zu lassen." Gerade angesichts des Lehrlingsmangels in vielen Branchen sei eine Art Anwerbung und Vorbereitung in den Herkunftsländern sinnvoll.