Fachkräftemangel - Kanada hofiert europäische Fachkräfte

10.02.2012

Manager-Magazin.de

Fachkräftemangel

Kanada hofiert europäische Fachkräfte

Aus Vancouver berichtet Markus Gärtner

Bau, Energie, Handwerk: Kanadas brisanter Fachkräftemangel
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Getty Images

Kanada bibbert vor dem Überschwappen der EU-Schuldenkrise auf die eigene Wirtschaft. Das hält die Ahornnation aber nicht davon ab, an der Krise verdienen zu wollen: Erste Provinzen greifen jetzt an. Sie wollen deprimierte europäische Jugendliche als Arbeitskräfte ins Land holen.

Vancouver - Die Sorge im G7-Land Kanada vor einem GAU im Euro-Schuldendrama ist groß. Die Notenbank des Ahornlandes warnt in ihrem jüngsten Halbjahresbericht zur Stabilität des Finanzsystems vor "großen Risiken". Das Ende des Euro würde "einen Tsunami erzeugen, der unsere Küste sehr, sehr schnell erreicht", fürchtet auch der Finanzprofessor Louis Gagnon an der Queen's University in Kingston, Ontario.

 

Dass die Dauermisere im Euro-Land auch eine Chance für Kanada bietet, wird hingegen kaum gesehen. Denn die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den jungen Menschen bis 25 Jahren liegt sie teilweise bei bis zu 50 Prozent, wie in Griechenland und Spanien.

Und Kanada sieht sich derzeit mit "einer verzweifelten Knappheit an Arbeitskräften" konfrontiert, wie die Canadian Chamber of Commerce berichtet. Von der Bauwirtschaft über den Öl- und Gassektor bis hin zum Transportgewerbe und dem Handwerk fehlen Hunderttausende qualifizierter Arbeitskräfte, um die rohstofflastige Wirtschaft weiter anzutreiben. "Die Dringlichkeit dieses Problems ist nicht im Bewusstsein, wir versuchen Alarm zu schlagen", sagt der Chef der Kammer, Perrin Beatty. Seinen Angaben zufolge steht die Rekrutierung von Talenten ganz oben auf der Liste der zehn drängendsten Probleme in Kanadas Wirtschaft.

Die Kosten dieser Beschäftigungslücke für Kanadas Wirtschaft sind enorm. Der Conference Board of Canada, eine Vereinigung von Unternehmen, schätzt den Schaden aus der mangelnden Nutzung von Qualifikationen, die Einwanderer mitbringen, auf jährlich 3,4 bis 4,9 Milliarden Dollar. Die Organisation schätzt die nötige jährliche Zuwanderung, mit der die unbesetzten Jobs gefüllt werden könnten, auf 375.000 Menschen. Das wären 50 Prozent mehr als derzeit. "Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir Ausschau jenseits der Landesgrenzen halten und qualifizierte Arbeitskräfte aus der ganzen Welt anlocken", heißt es im jüngsten Bericht des Conference Board zu dem Thema.

Abschlüsse werden oft nicht anerkannt

 

Doch schon jetzt stellt der Zustrom an Neukanadiern laut Statistics Canada drei Viertel des Bevölkerungswachstums dar und fast den kompletten Zuwachs im Erwerbstätigenheer. Satte 39 Prozent der Kanadier sind in der ersten oder zweiten Generation Zuwanderer. Mehr noch: Die Einwanderer sind auch relativ jung. Laut der kanadischen Handelskammer waren 57 Prozent der Immigranten in den vergangenen Jahren im besten Arbeitsalter zwischen 25 und 54. Und wegen der strikten Kriterien im Auswahlsystem für Wirtschaftseinwanderer haben die Neukanadier zwei Mal so häufig ein Studium absolviert wie die Einheimischen. Das Problem aber: Behörden und Wirtschaft sind nicht in der Lage, das ganze Potential an Qualifikationen aus diesem massiven Zustrom von Einwanderern und Arbeitskräften heraus zu kitzeln.

Laut dem jüngsten Zensus-Bericht für den Großraum Toronto war die Arbeitslosenrate unter den Einwanderern mit 10,7 Prozent doppelt so hoch wie die für einheimische Kanadier. "Die mangelnde Anerkennung ausländischer Abschlüsse zwingt viele Immigranten in schlecht bezahlte, unqualifizierte Arbeitsverhältnisse", urteilt die Toronto-Dominion Bank in einer neuen Studie. Die wirtschaftlichen Folgen sind gravierend: "Wenn Einwanderer prozentual genauso viele Arbeitsplätze hätten wie angestammte Kanadier, hätten wir 370.000 Beschäftigte mehr", heißt es in dem Papier, "und bei gleicher Bezahlung wäre die Wirtschaft um 30 Milliarden Dollar - oder 2 Prozent des BIP - größer". Doch Einwanderer, die mindestens fünf Jahre im Land leben, verdienen im Schnitt 29 Prozent weniger als in Kanada geborene Erwerbstätige.

Sicher wäre da deutlich mehr herauszuholen, sagen Kritiker. Ein Großteil der Neubürger sind "ökonomische Einwanderer", die sich durch Sprachkenntnisse, berufliche Erfahrung und eine gute Ausbildung für die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis und die Staatsbürgerschaft qualifizieren mussten. Doch weil es ständig Probleme mit der Anerkennung ausländischer Abschlüsse gibt, "finden 76 Prozent der Immigranten keine Arbeit in ihrem Beruf und enden oft in irgendwelchen Überlebensjobs, um die Rechnungen zu bezahlen", sagt Ruth Ramsden-Wood, die Präsidentin des United Way of Calgary, einer Initiative, die sich der besseren Integration von Zuwanderern in der Stadt verschrieben hat. "Ganze 45 Prozent der Zuwanderer, mit denen wir es zu tun haben, können mindestens ein Grundstudium nachweisen, aber Diplome aus anderen Ländern werden von den lokalen Arbeitgebern in der Regel nicht anerkannt", sagt sie.